Wer erinnert sich nicht an den schwarzen Riesengorilla, den „Hollywood Star“ aus alten Zeiten, der seinerzeit zwischen Popcorn und Cola unsere Angst im Kinosessel schürte. An der Spitze des Wolkenkratzers hängend, von wütenden Piloten in hornissenartig herumschwirrenden Flugzeugen torpediert. Vor Schmerzen aufschreiend und innerlich weinend sahen wir ihn … riesengroß und doch so hilflos.
Manch ein empathisch veranlagter Zuschauer spürte bei diesem Anblick ein eigenartiges Unbehagen in Anbetracht der ungerechten Behandlung. Denn wenn man genau hin fühlte, konnte man leise erkennen, was den haarigen Riesen antrieb, die Frau, die er liebte aus ihrer Wohnung zu rauben. Und plötzlich wirkte sein Sterben so sinnlos, weil die scheinbaren Retter in ihrer eigenen Angriffslust blind dafür waren, worum es diesem Wesen wirklich ging. Gott sei Dank hatte das alles nichts mit uns zu tun. Oder doch?
Vielleicht entdecken wir etwas, wenn wir den Fokus ein wenig verändern
Wenn man die Szene aus der Sicht der Piloten betrachtet, dann hatte das tobende Monster es wohl verdient, bestraft zu werden. Schließlich konnte man nicht ahnen, zu was dieses Biest noch in der Lage gewesen wäre, wenn man es nicht gestoppt hätte. In solch einem Fall ist vor allem die eigene Angst vor dem Unbekannten oft der erste Faktor, (vor)schnell und unreflektiert zu reagieren. Denn um sich selbst zu retten, scheint Angriff nicht selten die einzige Möglichkeit zu sein – zumindest solange man sich nicht für die Sichtweise und das Empfinden auf der anderen Seite geöffnet hat.
Natürlich ist es nicht gerade alltäglich, dass ein Riesengorilla durch das Küchenfenster greift, um dann getrieben von der Sehnsucht nach Liebe mit dem Objekt der Begierde auf das nächste Hausdach zu flüchten. Dennoch begegnet uns die Wucht der nicht verstandenen und nicht gesehenen Liebe im wirklichen Leben durchaus und immer wieder. Oftmals unvorhersehbar schlägt sie um sich. Manchmal nur still und heimlich und manchmal sticht sie zu, voller Wucht mitten in unser Herz. Und wie King Kong halten wir das aus. Bis zu dem Punkt, an dem wir glauben, angreifen oder fliehen zu müssen. Und manchmal agieren wir in diesem Sinne sogar vorab. „Sicherheitshalber“ und ohne dass das Gegenüber uns tatsächlich etwas anhaben wollte, nur weil wir uns aus irgendeinem Grund von dem anderen bedroht fühlen. Natürlich mit der rechtfertigenden Begründung, uns lediglich zu verteidigen und unseren Raum zu schützen.
Dann schreiben wir eine Geschichte, in der wir die Helden sind
Wir brüsten uns damit, trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten den Sieg gegen dieses Monster namens „Du“ errungen zu haben. Dabei klingt die Geschichte, die wir uns jeden Tag aufs Neue erzählen, so traurig, dass sogar der Erinnerungs-Wolkenkratzer, an dem wir hängen, anfangen müsste zu weinen – angesichts der Ungerechtigkeit, die uns widerfuhr, der Lieblosigkeit, die man uns entgegenbrachte und der Achtlosigkeit, mit der man uns behandelte. Moment mal – sprechen wir nun davon, das Opfer oder der Täter in diesem Spiel zu sein?!
Nun ja … sind wir wirklich nur „die Guten“ in dieser Welt, die das Spiel des „ehr“-lichen und würdevollen Miteinanders verstehen und dieses tagtäglich wie Zen-Mönche praktizieren? Oder brauchen wir für unsere selbstbilderhaltenden Dramen gar die einen oder anderen Bösewichte, die unseren Status bestätigen? Als Helden, die „trotz allem, was man ihnen angetan hat“, aufrecht und tapfer durchs Leben gehen.
Was könnte sich jedoch in unserem zukünftigen Miteinander verändern, wenn wir einzuräumen würden, dass das, was der andere uns angetan hat, auch Teil dessen ist, was wir uns selbst angetan haben und immer wieder antun? Weil wir auf der Suche nach Liebe sind und dabei Grenzen überschreiten. Weil wir um Liebe betteln und bereit sind, alles dafür zu tun. Weil unsere Rufe nach Nähe nicht wirklich mit einer zärtlichen Umarmung erwidert werden.
So gesehen sind gerade herausfordernde Beziehungen nichts anderes als die Chance, einen Blick in den eigenen Spiegel zu werfen, aus dem uns ein Ungeheuer entgegen brüllt, das wir in uns selbst übersehen haben. Wenn wir erforschen und erkennen, worum es in der gemeinsamen Geschichte wirklich geht, gelingt es uns vielleicht, für einen Moment dankbar zu sein, dass der „Affe“, der uns gerade das Leben schwer macht, uns genau diesen Spiegel mehr als deutlich vor die Nase hält. Und wir können uns vielleicht sogar vergeben, dass er dafür herhalten musste, einen emotionalen Tod durch unsere „Ächtung“ zu sterben – nur damit wir endlich wach werden und lernen, aufrichtige „Achtung“ für uns selbst und unser Gegenüber entwickeln.